Von Scherben und Schlössern: Archäologen erforschen Duisburgs Geschichte 

Die Archäologinnen und Archäologen aus Kiel lassen keinen Stein auf dem anderen, schauen ganz genau hin, welche Bedeutung Duisburg von der Spätantike bis zur Protoindustrailaisierung hat. Ein Forschungsbesuch:

Für den Laien sind es „nur“ Scherben - Bruchstücke der Vergangenheit.  Doch für Experten erzählen sie die große Geschichte Duisburgs. „Im Fall von Duisburg reden wir über das große Ganze“, sagt Dr. Maxi Platz, historische Archäologin und leidenschaftliche Duisburgerin. „Duisburg wird nicht nur heute unterschätzt, sondern auch in seiner historischen Bedeutung. Duisburg ist noch ein blinder, weißer Fleck.“

Aus alten Keramikscherben können die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter anderem herauslesen, aus welchem Zeitalter sie stammen

Und genau deshalb beschäftigt sich die Wissenschaftlerin, die an der Ruhr-Uni Bochum lehrt, gemeinsam mit drei Doktoranden der Universität Kiel intensiv mit der Geschichte Duisburg von der Spätantike bis zur sogenannten Protoindustrialisierung, der Epoche kurz vor der Industriellen Revolution. Das kooperative Projekt trägt den Titel „Genese des westlichen Ruhrgebiets. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert es mit stolzen 900.000 Euro.

Stadtarchäologe Dr. Kai-Thomas Platz an einer Ausgrabungsstelle an der Stadtmauer

Die Kieler Forschenden Johannes Reller, Sophie Rykena und Karina Schnakenberg sind seit Ende 2023 alle paar Wochen für einen längeren Zeitraum in Duisburg vor Ort, vertiefen sich zwischen Ton, Steine, Scherben im Archäologischen Fundarchiv der Stadt Duisburg Im Landschaftspark. Übermannshohe Schwerlastregale sind mit unscheinbaren, braunen Kartons gefüllt. Darin steckt die DNA Duisburgs. Fein säuberlich abgepackt in Klarsicht-Tütchen, genauestens durchnummeriert und beschrieben. Dennoch: „90 Prozent aller Grabungen in NRW sind unausgewertet“, weiß Dr. Platz. Und exakt da setzen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an.

Seit den 1980er-Jahren ist viel in Duisburg ausgegraben worden. Mercatorquartier, Steinsche Gasse – um nur zwei bedeutende Ausgrabungszentren zu nennen. Die Grabungsfirmen und die Untere Denkmalbehörde übernehmen die Vorauswertungen, dokumentieren, legen technische Berichte ab. Die Tiefenrecherche obliegt dann den Forschenden.  „Wir versuchen, die Funde zeitlich einzugrenzen“, sagt Sophie Rykena. „Quasi zusammen zu puzzeln“, erklärt ihr Kollege Johannes Reller bildlich.  „Keramik ist zum Beispiel immer gut zu datieren.“ Dr. Platz ergänzt: „Materialität ist immer auch ein Spiegel unserer Gesellschaft, unseres Zeitgeistes.“

Im Mercator-Quartier wurden vor allem von 2011 bis 2017 viele Ausgrabungen durchgeführt

Und der hat sich über die Jahrhunderte natürlich immer wieder gewandelt. So widmet sich Johannes Reller in seiner Arbeit Duisburg zur Zeit der Spätantike bis zum frühen Mittelalter, als die Stadt am Zusammenfluss von Ruhr und Rhein Sitz einer Königsburg des Frankenkönigs Chlodio gewesen sein soll. Am Burgplatz, wo heute das Rathaus steht, befand sich schon vor mehr als 1000 Jahren der herrschaftliche Nukleus der Stadt. „Ich lerne Duisburg richtig gut kennen, untersuche gut 250 Fundstellen von Walsum bis Serm“, berichtet Reller.

En détail begutachtet er zum Beispiel Stichproben aus Ausgrabungen im Umfeld des Averdunk-Centers, wo in den 1970er-Jahren Töpferöfen aus dem Mittelalter gefunden wurden. „Das Schöne an der Archäologie ist, dass sie haptisch ist“, findet Rykena.

Die historische Stadtmauer ist für Archäologen auch heute noch ein begehrtes Forshcunsgobjekt

Sophie Rykenas „Zeitscheibe“ schließt an Johannes Reller an. Ihr Schwerpunkt liegt in der Zeit vom 10. bis 12. Jahrhundert, als Duisburg eine Kaiserpfalz, einer der Wohnsitze der Reisekönige wie Otto I. war. Und Duisburg als westlicher Endpunkt der bedeutsamen Handelsroute Hellweg, der in Magdeburg entsprang, als Handelshochburg bekannt wurde. „Duisburg war damals ein bedeutender Knotenpunkt, eine der wichtigsten Städte des Deutschen Reichs“, betont die Wissenschaftlerin. Gemeinsam mit ihren Mitstreiterinnen und Mitstreitern ist sie zum Beispiel die alte Stadtmauer abgelaufen. „Wir wollen wissen, wie die Siedlungsgeschichte in unserer jeweiligen Zeitscheibe aussah.“

Kieler Forschende untersuchen Duisburger Regionalgeschichte

Die Dritte im Team, Karina Schnakenberg, schaut sich Duisburg im Spätmittelalter (13.- 16. Jahrhundert) an. Duisburg stand damals in seiner Blüte als Hansestadt. Dr. Maxi Platz wiederum hat die vorindustrielle Zeit im Fokus. „Wir drehen Duisburgs Geschichte gemeinsam noch einmal auf links und können schon jetzt sagen, dass die Behauptung, Duisburg sei nach dem 12. Jahrhundert in die Bedeutungslosigkeit verfallen, falsch ist. Diese Selbstverzwergung, die sich mit dem industriellen Niedergang noch verstärkte, prägt uns leider bis heute“, bedauert Dr. Maxi Platz. Sie hofft, dass es den Archäologen, die noch bis Ende 2026 ihrem Forschungsprojekt nachgehen, gelingt, „das Bewusstsein der Duisburgerinnen und Duisburger für ihre Vergangenheit zu schärfen und dass sie daraus Kraft und Selbstbewusstsein tanken“.

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