Widerstand, Gemeinschaft, Denkmalschutz: Das Leben in der Siedlung Rheinpreußen

Schlägel-, Eisen-, Steigerstraße - einige Straßennamen der Siedlung Rheinpreußen erinnern an ihren Bergbauhintergrund. Die denkmalgeschützte Kolonie hat eine bewegte Geschichte hinter sich. Edith Füsers und Wolfgang Hering wohnen hier seit Jahrzehnten und gewähren uns einen Blick hinter die markanten Fassaden.

Diese Aufnahme der Rheinpreußensiedlung stammt aus dem Jahr 1975
In den Gärten hielten früher viele Bergleute Brieftauben

Wenn Edith Füsers sagt, dass sie „ihr ganzes Leben lang“ in der Siedlung Rheinpreußen in Duisburg-Hochheide lebe, ist das nicht nur eine bloße Floskel. Die 78-Jährige ist in dem anderthalbgeschossigen, knapp 120 Jahre alten  Doppelhaus an der Südstraße geboren, teilte sich früher die 68 Quadratmeter mit ihren Eltern, ihrer Oma und ihrem Bruder. Später übernahm sie dann mit ihrem Mann die Giebelwohnung. Ihr Mann starb früh. Edith Füsers zog Sohn Falko allein groß. Inzwischen lebt sie seit über 30 Jahren mit ihrem Lebensgefährten Wolfgang Hering (74) in dem Zechenhäuschen. „Das ist meine Heimat, hier fühle ich mich wohl.“ Dass Edith Füsers dieses Gefühl heute so entspannt ausdrücken kann, ist keine Selbstverständlichkeit. 

Die Rheinpreußen haben schon immer selbst angepackt und ihre Siedlung in Schuss gehalten

Ein Blick zurück in die Geschichte: Um den angeworbenen Arbeitern aus Schlesien, Österreich-Ungarn und den Niederlanden eine angemessene Unterkunft bieten zu können, wurde 1903 rund um die Zeche Rheinpreußen eine Bergarbeitersiedlung erbaut. 1925 endete die Kohleförderung schon in Homberg, 1971 ging die Zeche Rheinpreußen im Verbundwerk Rheinland auf, 1990 wurde Schacht 9 als letzter von Rheinpreußen stillgelegt.

Mitte der 70er-Jahre drohte der Bergarbeitersiedlung dann der Komplett-Abriss durch den damaligen Eigentümer, die private Baufirma Kun. Die Kolonie sollte für Hochhäuser dem Erdboden gleichgemacht werden. Ende der 60er mussten schon viele Häuser weichen. Eine Bürgerbewegung formierte sich. Widerstand, 18-tägiger Hungerstreik auf der Rathaus-Treppe. Ein Protest, der Wirkung zeigte.

Umsäumt von großen Bäumen ist die Siedlung Rheinpreußen ein grüne Oase westlich des Rheins

Die Stadt Duisburg kaufte die Häuser 1979 und setzte 1984 eine neugegründete Genossenschaft ein, die noch heute die 403 verbliebenen Wohnungen verwaltet. Die Siedlung Rheinpreußen mit ihren schmucken Backstein-Fassaden, den dunkelgrünen Dachumrahmungen, den großen Platanen-Alleen, ja der insgesamt „very british“ anmutenden Gestaltung war gerettet. Und mit ihr eine Gemeinschaft, die noch stärker zusammengewachsen war. „Hier hilft jeder jedem“, betont Wolfgang Hering. „Wir rufen nicht sofort den Handwerker, wir packen selber an.“ Hering hat selbst noch Pütt-Vergangenheit, war als Maschinenschlosser bei der Ruhrkohle beschäftigt. „Das habe ich damals mitgenommen“, sagt er und zeigt auf ein altes Bergwerkstelefon, das er dekorativ zwischen Blumen und Skulpturen neben der Eingangstür platziert hat.

Die Wohnungen sind gemütlich, verteilen sich auf zwei Etagen
Dieses Privatfoto zeigt Edith Füsers (li.) als junges Mädchen neben ihrer Mutter und einer Nachbarstochter

Saniert und gepflegt

Mit Liebe zum Detail hat das Paar sein Häuschen gestaltet. Sie schätzen und pflegen es. Die Siedluing gehört inzwischen zu den schönsten ihrer Art im Ruhrgebiet. Heute ist in der ehemaligen Zechenkolonie daher auch der Denkmalschutz das Maß der Dinge. Am optischen Erscheinungsbild der Backsteinmauern darf nichts verändert werden. „In der Wohnung sind wir aber durchaus frei“, weiß Edith Füsers und führt den Besucher die zwei Stufen vom Flur in die schmale Küche hinab. „Das war früher der Stall und hier unter dem Fenster war abgetrennt das Plumpsklo.“ Wo inzwischen ein modernes Bad mit ebenerdiger Dusche und Wanne ist, dampfte ehedem die Jauchegrube. „Da mussten wir öfters unsere Katze rausfischen, weil sie hineingefallen war“, erinnert sich die Rentnerin.

Der Garten ist Edith Füsers' Reich

Tiere gehörten früher zu fast jedem Haus dazu. Die großzügigen Gärten wurden von Hühnern, Gänsen, Schweinen und Kaninchen bevölkert. Statt grüner Wiese mit Aufbau-Pools und Staudenarrangements dominierten Gemüsebeete. Klassische Arbeiter-Selbstversorgung. „Heute gibt es hier nur noch Hunde und Katzen und vielleicht ein paar Brieftauben“, sagt Wolfgang Hering. Der alte, dreckige Kohlekeller wurde derweil Edith Füsers‘ Nähraum, der Kaminofen wich einer gemütlichen Sitzecke. Die Zeiten haben sich geändert. Und mit ihnen auch langsam die Bewohner.

Das Bad hat das Paar in Eigenregie ausgebaut, die Küche war früher mal der Stall

Neuzugänge und Rückkehrer

Neubürgerinnen und -bürger kamen dazu – manch einer kam gar zurück. So wie Ediths Sohn Falko. Er hat mit seiner Frau die Wohnung direkt nebenan gemietet. Nr. 41m. „Das M steht hier für Mitte, weil es eine Wohnung in der Mitte ist“, erklärt Mama Edith. „Wir wohnen in 41g. Unser Eingang hat nämlich einen Giebel.“ Und so zieht sich die Nummerierung durch die Siedlung.

Während sich das Leben in der Siedlung Rheinpreußen über die Jahre hinweg verändert hat, bleibt doch eines konstant: die starke Gemeinschaft. Diese Verbundenheit zeigt sich auch in der Siedlungszeitschrift „Ob de Dörpel“ („Auf der Türschwelle“), die regelmäßig wichtige Telefonnummern und hilfreiche Informationen für die Nachbarn bereithält. Für Edith Füsers und Wolfgang Hering gab es daher nie einen Grund, um die Siedlung Rheinpreußen zu verlassen. „Wir haben hier alles, was wir brauchen: Nahversorgung, viele Ärzte, öffentliche Verkehrsmittel…“, zählt die Hausherrin auf. „Wenn ich vor die Tür trete“, ergänzt ihr Lebensgefährte, „bin ich sofort im Grünen.“ „Und Denkmal – das bin ich inzwischen schon selbst“, scherzt Edith Füsers.

Das alte Bergwerkstelefon ist eine Erinnerung an Wolfgang Herings Zeit bei der Ruhrkohle AG

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